„Undankbar“ empfand ich die Kinder und „egoistisch“!"

Ella, Trennungsmutter:
“Ich bin seit Jahren Single. Das hat sich so ergeben. Ehrlich gesagt, weiß ich auch gar nicht , wo ich jemanden kennenlernen könnte. Vor Datingplattformen schrecke ich noch zurück, das käme mir dann so bedürftig vor. So schlimm ist es nämlich auch nicht.
Jannik ist 14 und Luise 17. Seit vier Jahren sind sie von Jahr zu Jahr abwechselnd bei mir oder ihrem Vater. Wenn sie bei mir sind, sind wir nach der Bescherung mal bei meiner Mutter, mal bei meiner Schwester mit ihrem Partner oder die sind bei uns.
Philipp hat eine neue Partnerin, Meike, und die hat drei Kinder, 13, 15 und 17. Die Kinder verstehen sich ganz gut, glaube ich. Viel erfahre ich von meinen beiden ja nicht darüber, wie sie die Zeiten bei ihrem Vater erleben.
Ich weiß auch nicht, in welcher Weise sie das Jahr über Kontakt zu Meikes Kindern haben. Ich weiß nur, dass sie bei Whatsapp eine „Familiengruppe“ – schon bei diesem Wort krampft sich mir alles zusammen – haben.
Vor zwei Jahren maulten die Kinder. Sie wollten nicht mit zur Oma. Ob sie die denn nicht am ersten Weihnachtstag besuchen könnten. Ob ich denn nicht allein gehen könnte. Ob es nicht sowieso schön für mich wäre, wenn ich am Heilgen Abend zur Oma ginge. Zunächst dachte ich, ihr Verhalten hätte etwas mit meiner Mutter zu tun. Ich fragte, ob denn etwas vorgefallen wäre, ob sie sich über Oma geärgert hätten. Es hat gedauert, bis bei mir der Groschen fiel. Auch, wenn sie herumdrucksten und es nicht so deutlich sagten, offenbar fanden sie es langweilig, den ganzen Abend mit uns Erwachsenen zu verbringen, wo sie doch eine so interessante Alternative in Philipps neuer Familie hatten.
Zunächst wurde ich von einer Welle heftigsten Selbstmitleids erfasst. „Undankbar“ empfand ich die Kinder und „egoistisch“! Da reiße ich mir das ganze Jahr über alle Beine aus, um meinen Kindern ein Zuhause zu bieten, in dem es ihnen an nichts mangeln soll – und ausgerechnet an Weihnachten lassen sie mich allein zurück, weil es beim Papa „lustiger“ ist. Ich war getroffen, beleidigt und verletzt.
Seit einiger Zeit nehme ich an einer Gruppe für Trennungseltern teil. Als ich dort davon erzählte, stellte ich mal wieder fest, dass ich nicht die einzige war, der es so erging. Während wir zusammen überlegten, wie eine angemessene Reaktion aussehen könnte, schwankten wir zwischen dem Wunsch, stur und kämpferisch auf der einmal getroffenen Regelung zu bestehen und der grummelnden Gewissheit, dass wir allein Zurückgebliebenen uns und unseren Kindern damit keinen Gefallen täten.
Ich habe mich dann entschieden, sie ziehen zu lassen. Schweren Herzens. Ich hatte mir vorgenommen ihnen, wenn es sich ergeben würde, sogar zu sagen, wie schwer mir das fiel. sie sollten ruhig wissen, wie zerrissen ich innerlich war, dass ich es ihnen aber nicht übel nähme, sie aber trotzdem gerade an diesem Abend vermissen würde.
Als Luise beim Abschied fragte, „Bist du traurig, Mama?“, da antwortete ich zu meinem eigenen Erstaunen: „Ein bisschen – es ist nicht immer leicht zu sehen, dass ihr schon so groß und selbstständig geworden seid.“ Ich weiß nicht, woher dieser Satz plötzlich kam, aber er war so haargenau richtig, und die Umarmung, die dann folgte, war so wohltuend innig, dass sie mich für vieles entschädigte.”
