Reden ist Silber, Schweigen ist Schrott!

"Vielleicht haben sie es mit mir zusammen nicht mehr ausgehalten..."

Amelie, ein 17-jähriges Trennungskind:

 Ich kann mich noch gut daran erinnern als meine Eltern mir in einer schweren, gruseligen Atmosphäre mitteilten, dass sie sich trennen würden. Ich war damals fünf Jahre alt. Wir mussten die Wohnung aufgeben, und meine Mutter und ich sollten in eine neue Wohnung ziehen.

Wenn ich aufgeregt, konzentriert oder angespannt war, hatte ich die Angewohnheit, rhythmisch mit dem Fuß gegen ein Tischbein zu bollern. Das nervte meine Eltern für gewöhnlich, und sie hielten dann mein Bein fest, sahen mich streng an oder forderten: „Nun hör doch mal auf damit!“. In meiner Erinnerung höre ich das Geräusch, spüre mein wippendes Bein und sehe meine Eltern, die keine Miene verziehen. Tok-tok-tok. Toktoktok.

Die Eltern meiner Freundin Kim hatten sich vor kurzem getrennt. Dort haben wir oft ein Bilderbuch angeschaut, in dem es um einen Jungen ging, dessen Vater ausgezogen war, weil die Eltern sich getrennt hatten.  

Kims Vater war auch ausgezogen. Ich wusste also, was es bedeutete, wenn sich Eltern trennen, und irgendwie hatte ich bereits geahnt, dass es bei uns genauso kommen könnte.

Meine Eltern schwiegen sich an und gingen sich aus dem Weg. Es muss in dem Jahr gewesen sein, als unser Familienurlaub – wir waren bis dahin jedes Jahr nach Borkum gefahren – ausgefallen war. „Papa muss arbeiten“ hatte es barsch geheißen, als ich gefragt habe, ob Papa denn nicht mitkomme. Ende der Diskussion! Meine Mutter und ich waren stattdessen ins Allgäu zu meinen Großeltern gefahren. Vorzeichen und merkwürdige Veränderungen hatte es also genug gegeben.

Ich habe angefangen, über mein Leben nachzudenken, und nun stelle ich fest, dass es eine Zeit gegeben hat, in der ich überhaupt keine Erinnerungen an meinen Vater habe. Das muss die Trennungszeit gewesen sein. Ich hing, was meinen Vater betraf, ziemlich in der Luft. Meine Mutter machte unausgesprochen klar, dass alles, was zählte, wir beide waren, und mein Vater war nicht greifbar. Auf eine traurige Weise waren sie sich da einig.

Bei meinem Abschiedsfest vom Kindergarten und auch bei der Einschulungsfeier war er dann plötzlich wieder dabei. Das weiß ich auch  von Fotos. Wir hatten dann eine regelmäßige Besuchsregelung, wo wir zusammen in´s Kino gingen oder andere Sachen miteinander unternahmen.

Nur geredet hat niemand mit mir. Das war dann so. Bis heute weiß ich nicht, was eigentlich der Grund für ihre Trennung gewesen ist. Damit geht es mir immer weniger gut. Manchmal habe ich  so ein Gefühl, als sei ich es nicht wert, dass sie mit mir darüber sprechen, und manchmal kommen mir so Panik-Gedanken, ob mein Vater vielleicht etwas richtig Schlimmes gemacht haben könnte. Ich hab sogar schon geträumt, dass er für einige Zeit im Gefängnis war. Dann wieder hatte ich Angst, ich könnte ein so „schlimmes“ Kind gewesen sein, dass sie es mit mir zusammen nicht ausgehalten haben. Ich hatte auch Angst vor der Wahrheit. So haben wir dieses Thema also alle drei einvernehmlich stillschweigend begraben.

Es ist sehr wichtig, dass Eltern sich darüber klar sind, wie detailliert sie ihre Kinder über ihre Trennungsgründe informieren wollen. Jede Trennung hat eine spürbare Vorgeschichte, die von mir so genannte „Konflikt- oder Entfremdungsphase“. Fühlen sich Kinder in dieser Zeit ernst genommen, werden ihre Fragen kindgerecht beantwortet und wird deutlich, dass sie keinerlei Verantwortung für die Konflikte zwischen den Eltern trifft, dann ist die Mitteilung der Entscheidung sich zu trennen, keine traumatische Überraschung mehr.

Grundsätzlich können Eltern in dieser Zeit ihre Kinder sowohl durch zu viele Einzelheiten als auch durch ihr Schweigen überfordern. Solange die Erwachsenen ihren Weg noch nicht gefunden haben gilt: „Ja, wir haben Schwierigkeiten. Manchmal sind wir traurig, manchmal wütend und manchmal müde, doch das hat nichts mit dir zu tun. Wir bemühen uns um eine Lösung, das ist nicht leicht.“

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